Selbst, wenn du weg bist, bist du noch da

Ana,

Ich würde wirklich gerne behaupten können, dass du in meinem Leben keine Rolle mehr spielen würdest. Aber das wäre gelogen und das wissen wir beide. Das liegt alleine schon daran, dass ich mich aktiv mit dir beschäftige um gegen dich zu kämpfen und andere Menschen aufzuklären. Was das angeht will ich auch gar nicht, dass du aus meinem Leben verschwindest, weil ich diese Arbeit als unglaublich wichtig erachte und, weil sie mich stark macht.

Aber es wäre eben gelogen, wenn ich behaupten würde, dass du es nie versuchen würdest, dich auch wieder in mein Leben zu schleichen und auch, dass es dir niemals gelingen würde. Ich fühle mich dir sehr oft noch viel zu nahe. Wenn ich durch die Stadt laufe und eine auffällig dünne oder aber eine auffällig dicke Frau sehe, dann passiert da ganz oft dieser schnelle, unauffällige Blick, der meine eigenen Beine kontrolliert und überprüft, ob da denn auch alles noch okay aussieht. Wenn ich bei Freund*innen zu Besuch bin, die eine Waage in ihrem Bad stehen haben bekomme ich einerseits Angst, andererseits ist die Versuchung sehr stark doch noch einmal nachzuschauen, wie das, was ich sehe sich in Zahlen ausdrücken lässt. Wiegen war für mich immer eine Art Sucht, weswegen ich den Begriff „trocken“ auch sehr gerne verwende. Ich habe mich das letzte Mal im Januar 2018 gewogen und bin sehr stolz, dass ich dem widerstehen kann.

Aber das Problem ist ja, dem überhaupt widerstehen zu müssen. Dass ich immer noch stolz auf Dinge bin, die für alle Menschen um mich rum völlig selbstverständlich sind, dass ich mich darüber freue, wenn ich keine krankhaften Verhaltensweisen zeige, dass ich manchmal aus Protest esse, weil ich das Gefühl habe, dir damit eins auszuwischen.

Ich habe schon vor langer Zeit verstanden, dass ich mein Leben vermutlich niemals komplett ohne dich führen würde und damit habe ich mich arragiert. Das ist okay für mich geworden, zumindest meistens. Manchmal aber macht es mich noch unglaublich traurig. Was viele nicht verstehen ist, dass ich dir meine gesamte Jugend geopfert habe, dass es nicht eine Woche gab, in der ich einfach nur Teenagerin war, weil du immer immer irgendwie dabei warst. Siebeneinhalb Jahre sind eine sehr lange Zeit und ich kann mich gar nicht mehr wirklich erinnern, wie es vor dir war. Wie und ob ich damals meinen Körper akzeptieren konnte und eine Zeit lang habe ich vergessen, wie gewisse Lebensmittel schmecken, wenn man sie genießt. Das habe ich mir zum Glück schon wieder zurück erkämpft und glaub mir, da gibt es noch so viele Lebensbereiche, die ich mir zurück erkämpfen werde, bis du irgendwann nur noch einen letzten kleinen Winkel übrig hast, aus dem ich dich dann nie wieder ausbrechen lasse. Versprochen!

Lena