Magersuchts-Moonwalk

„Ich war dem Abgrund schon immer näher als dem sicheren Boden, ich tanze wagemutig an der Kante und wenn ich falle, fühle ich mich lebendig.“ schreibe ich in einem meiner Texte. Mein Leben mit und ohne Ana fühlt sich an wie ein Tanz an eben jener Kante, wie ein Moonwalk und manchmal kann ich selbst nicht erkennen, ob es vor oder zurück geht.

Lange Zeit habe ich es als persönliche Niederlage gesehen, wenn ich „ganz normal“ ausgesehen habe; dachte, das sei ein Rückschritt. Dann habe ich irgendwann angefangen gegen die Krankheit zu kämpfen und dachte Fortschritte zu machen, wenn ich zunahm auch, wenn sich das irgendwie nie so angefühlt hat. Ein Rückfall war immer auch ein Rückschritt, ein Tanzen zu nah an der Kante, eine Gefahr, etwas, dass nicht sein durfte.

Jeder Rückfall hat seinen Grund und seine Berechtigung, ja. Aber ich mag mich nicht länger darüber definieren. Anfang des Jahres schrieb ich über jene Menschen, die mich falsch einschätzen. Ich hatte immer das Gefühl, dass es mir schlecht gehen müsste, wenn ich abgenommen habe, dass sich dann alle Sorgen machen und zwar mit Recht. Heute sehe ich, dass ich genau die selben Sätze antworten mag, wie damals.

Ja, ich habe abgenommen. Ja, nach WHO Richtwerten bin ich im Untergewicht. Aber ich habe eine stressige Zeit hinter mir, ich esse seit einem halben Jahr kein Fleisch mehr, bin umgezogen und habe mein Leben völlig neu sortieren müssen. Das sind alles Gründe. Das Wichtigste aber ist, dass ich glücklich bin! Ich werde bald 22 und kann das erste Mal in mehr als 10 Jahren sagen, dass ich schön finde, was mir im Spiegel gegenüber steht! Ich halte ein Gewicht, mit dem ich mich absolut wohl fühle. Das zu akzeptieren hat nun einige Wochen gedauert. Ich hatte erwartet, dass sich alles nach Rückschritt anfühlen müsste, aber das tat es nicht. Menschen sprechen mich auf mein Aussehen an und machen sich Sorgen. Wieder einmal möchte ich sagen „Du schaust nicht in den richtigen Momenten hin.“ oder „Das denkst du, weil du mich nicht im Alltag erlebst.“

Mein Leben ist zurzeit so voller Lebensfreude und Glück! Ich esse, was mir schmeckt und seit vielen Wochen ist die Waage nur noch Kontrolle, dass ich nicht aus Versehen zu wenig wiege. Ich brauche sie noch, weil ich mir und meiner Wahrnehmung noch nicht ganz vertraue, aber sie löst weder Angst, noch Zwang, noch eine Sucht in mir aus. Alle Zahlen, die ich sehe sind erst einmal okay, weil ich ziemlich okay bin. Meine Krankheit ist noch immer jeden Tag da, ja. Aber das hilft mir auch, mich umso mehr über diese Entwicklung zu freuen, weil sie so außergewöhnlich wirkt! Meine Krankheit ist noch da, wenn ich kalorienreduziertes Eis kaufe, ja. Aber immerhin esse ich das Eis. Und in manchem Momenten ist sie nur präsent, weil ich darüber staune, was für einen geringen Einfluss sie zurzeit auf mich hat!