„Pro Ana“ ist eine Bewegung, welche die lebensbedrohliche Krankheit Anorexia nervosa, also Magersucht, verherrlicht und sich den erkrankten jungen Menschen als Freundin „Ana“ präsentiert. Ana steht hierbei als Kurzform für „Anorexia Nervosa“ – es wurde bewusst ein Mädchenname gewählt. Die vergleichbare Bewegung zu Bulimia Nervosa, also Ess-Brech-Sucht heißt „Pro Mia“.

Im Internet finden sich sowohl Foren als auch Instagram-Seiten und Gruppen in Sozialen Netzwerken, in denen sich Gleichgesinnte „treffen“, um sich gegenseitig zum Hungern zu animieren und sich in ihrer Erkrankung zu bestärken.

Die oberste Regel ist hierbei, dass die Gruppen und die eigene Krankheit geheim gehalten werden. Je weniger Familienmitglieder und Therapeut*innen Bescheid wissen, desto angesehener und beliebter ist man in den Gruppen. Das zwingt die „Pro Anas“ dazu, sich ein Doppelleben aufzubauen: das ehrliche Leben in der Pro Ana-Gruppe und das Leben voller Lügen außerhalb. Außenstehende, besonders Eltern haben meistens nicht einmal die Idee, dass im Internet eine Gefahr mit solchen Ausmaßen für essgestörte junge Menschen lauert. Der einzige Schutz dieser Parallelwelt ist, dass niemand weiß, dass sie existiert. Das möchte ich ändern.

Pro Ana und Magersucht sind nicht ein und dasselbe. Ich habe Mädchen kennengelernt, die stark magersüchtig waren und Pro Ana verurteilt haben. Genauso hatten wir Mädchen in unserer Gruppe, die starke psychische Probleme hatten, aber niemals die Diagnose einer (atypischen) Magersucht gestellt bekamen. Ihr Essverhalten war zwar problematisch, die Sucht nach Pro Ana überwiegte aber.

Nach zwei Jahren mit atypischer Magersucht und einem Jahr Therapie wurde Pro Ana ein Teil meines Lebens und mit ihr eine Whatsapp-Gruppe voll mit Mädchen, die das Gleiche erlebten wie ich. Es wurde meine Hauptaufgabe, meine beiden Leben irgendwie unter einen Hut zu bekommen, sodass nicht allzu stark auffiel, was da mit mir passierte. Gleichzeitig lebte ich in Seelenruhe meine Essstörung aus. Lügen mussten her, große Lügen und Ausreden und ein wilder Plan in meinem Kopf, wem ich welche Lüge erzählt hatte. Ich sprach von Nahrungsmittelunverträglichkeiten, welche ich 2018 auch wirklich diagnostiziert bekam (Karma!) und von Kur-Aufenthalten, um meine Fehlzeiten zu erklären. Mein Sozialleben litt enorm und alles, was im Jugendalter normal war – Essen gehen, Partys mit Alkohol oder Verabredungen zu Kaffee und Kuchen – musste warten. All diese Dinge hatte Ana mir nicht gestattet.

Zwei Jahre spielte sich mein Leben überwiegend online ab, bis die Gruppe an der psychischen Belastung und wiederholten Streitigkeiten zerbrach. Selbst Jahre später wusste weder mein enges Umfeld noch der Stab an Therapeut*innen und Psycholog*innen, die mich über die Jahre kennenlernten von diesem Geheimnis. Es brauchte noch einige weitere Jahre, um diese Zeit und alle Erlebnisse wirklich zu verarbeiten. Noch heute wissen viel zu wenige Eltern, Lehrkräfte, aber auch Expert*innen für Psychotherapie und Essstörungen über die genauen Mechanismen von Pro Ana Bescheid und haben einen Umgang mit diesem Thema. Das macht es enorm schwierig, junge Menschen davor zu bewahren in dieselbe Falle zu tappen, wie ich. Ich möchte beitragen zur Aufklärung über dieses wichtige Thema und zum Kampf gegen dieses Internetphänomen, das jungen Menschen ihre Jugend nimmt.