„Du hast aber abgenommen..“

Ana,

Während ich diesen Brief an dich schrieben, sitze ich in einem Eiscafé und trinke einen Wassermelone-Apfel Milchshake und genieße die Sonne. Gestern habe ich nach ein paar Wochen meine Nachbarin wiedergesehen und sie begrüßte mich mit dem Satz „Du hast aber abgenommen..!“. Ein Satz, der früher wie Musik in meinen Ohren klang. Heute macht er mir Angst.

Ja, vielleicht habe ich abgenommen, aber ich achte so gut es geht nicht darauf. Um mich herum sprechen die Menschen viel über Essen und Gewicht. Ein Mann und eine Frau mittleren Alters scheinen über ein junges Mädchen zu sprechen. „An der ist nichts dran.“ höre ich und „Sie wiegt keine 40 Kilo, denke ich.“. Sätze, die in meinem Kopf Alarm auslösen und ich frage mich unweigerlich, ob du das Mädchen kennst, von dem sie sprechen.

Ein paar Minuten später, ein Junge und ein Mädchen. Er ist irgendwas zwischen 19 und 23 Jahre alt, sie vielleicht 15 oder 16. Vielleicht sind sie Geschwister. Sie essen Eis, obwohl er sich gleichzeitig darüber aufregt. Sie sagt, sie habe gestern nur noch Kräuterquark und Kartoffeln gegessen. Er staunt, ich schüttle innerlich den Kopf. Warum müssen du und alle Essstörungen und gesellschaftliche Normen den Menschen da Leben nur so schwer machen?

Ich habe mir inzwischen einen Eistee und ein Stück Apfelkuchen bestellt. Er ist noch warm, oder wieder, wer weiß das schon. Ich bin müde von dir. Es macht mir Angst, dass Menschen bemerken, wenn ich zu- oder abgenommen habe, weil ich Angst habe, dass ich es auch wieder bemerke und dem Ganzen zu viel Bedeutung beimesse. Manchmal esse ich dann aus Protest, weil ich spüre, dass mir solche Aussagen immer noch gefallen. Und dann spüre ich, dass mir Essen auch gefällt und wenn ich Glück habe, denke ich dann den Rest des Tages nicht mehr an dich.

Lena